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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Urteil verkündet am 15.03.2007
Aktenzeichen: 10 A 998/06
Rechtsgebiete: BauGB, BauNVO NRW, BImSchG


Vorschriften:

BauGB § 34 Abs. 1
BauNVO NRW § 15 Abs. 1 Satz 2
BImSchG § 3 Abs. 1
BImSchG § 22 Abs. 1.
1. In Wohngebieten gibt es keinen generellen Schutzanspruch gegen Lichtimmissionen, die von Werbeanlagen in benachbarten, gewerblich genutzten Baugebieten ausgehen.

2. Ob Lichtimmissionen in der Nachbarschaft schädliche Umwelteinwirkungen hervorrufen, ist anhand des Gebots der Rücksichtnahme im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gebietsart und der Schutzwürdigkeit der gegenläufigen Nutzungsinteressen zu beurteilen. Dabei kann der nordrhein-westfälische Runderlass "Lichtimmissionen, Messung, Beurteilung und Verminderung" vom 13.9.2000 mit seiner Unterscheidung zwischen "Raumaufhellung" und "psychologischer Blendung" als sachverständige Orientierungshilfe dienen.

3. Das Gebot der Rücksichtnahme ist nicht verletzt, wenn die Leuchtwerbung eines ca. 150 m entfernten 24 m hohen P.-Pylons nicht zu einer messbaren Raumaufhellung in dem betroffenen Wohngebäude und zu keiner ständigen Ablenkung des Auges führt.

4. Nachbarn ist es zuzumuten, Wohnräume durch Vorhänge, Gardinen oder Jalousetten gegen Lichteinwirkungen abzuschirmen.


Tatbestand:

Die Klägerin wandte sich gegen die der Beigeladenen durch den Beklagten erteilten Baugenehmigung zur Errichtung eines Werbepylons mit Leuchtwerbeschildern auf dem Kundenparkplatz eines großflächigen Baumarktes mit Gartencenter. Bei der Werbeanlage handelt es sich um einen auf ein Blockfundament aufgeschraubten 24 Meter hohen Mast, an dem in drei Richtungen im Winkel von 120 Grad jeweils vier beleuchtete Werbetafeln angeordnet sind. Das Grundstück des Klägers liegt etwa 150 Meter vom Aufstellungsort des Werbepylons entfernt in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet. Die Klägerin fühlt sich insbesondere durch die von der Werbeanlage ausgehenden Lichteinwirkungen beeinträchtigt.

Das OVG wies die Klage in zweiter Instanz ab.

Gründe:

Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten vom 24.2.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung vom 18.5.2005 verletzt die Klägerin nicht in ihren Nachbarrechten.

Das Vorhaben der Beigeladenen verstößt nicht gegen nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts. Nach § 29 Abs. 1 BauGB gelten für Vorhaben, die u.a. die Errichtung von baulichen Anlagen zum Gegenstand haben, die §§ 30 bis 37 BauGB. Bei dem Werbepylon handelt es sich um ein Vorhaben im Sinne des Bauplanungsrechts. Er ist in einer auf Dauer gedachten Weise über ein Blockfundament fest mit dem Erdboden verbunden.

Vgl. zu diesem Kriterium BVerwG, Urteil vom 3.12.1992 - 4 C 27/91 -, BRS 54 Nr. 126.

Zudem besitzt er aufgrund seiner Höhe und der beleuchteten Werbeflächen städtebauliche Relevanz.

Vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 31.8.1973 - IV C 33.71 -, BVerwGE 44, 59; OVG NRW, Urteil vom 14.3.2006 - 10 A 4924/05 -.

Eine Werbeanlage, welche auch Fremdwerbung zum Gegenstand hat, stellt bauplanerisch eine eigenständige "Hauptnutzung" dar, wenn sie als selbständige, also freistehende Anlage errichtet wird. Sie ist dann gerade in ihrer erkennbaren Funktion beurteilungsfähiges Objekt eigenständiger bauplanerischer Zuordnung.

BVerwG, Urteile vom 7.6.2001 - 4 C 1.01 -, BRS 64 Nr. 79, und vom 3.12.1992, a.a.O.; Boeddinghaus/Hahn/Schulte, Bauordnung für das Land Nordrhein-Westfalen, Stand: Oktober 2006, § 13 Rn. 14.

So liegt der Fall hier. Der Werbepylon dient nicht nur der Werbung für den angrenzenden P.-Markt, sondern auch der Werbung für andere Gewerbe, die in einem anderen, nicht den Baumarkt betreffenden Sondergebiet angesiedelt sind. Ferner ist er bautechnisch als freistehende Anlage konzipiert.

Für die tatsächliche und rechtliche Beurteilung ist auf den Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung am 24.2.2004 abzustellen. Ob eine angefochtene Baugenehmigung den Nachbarn in seinen Rechten verletzt, bestimmt sich grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Genehmigungserteilung. Spätere Änderungen zu Lasten des Bauherrn haben außer Betracht zu bleiben, nur nachträgliche Änderungen zu seinen Gunsten dürfen berücksichtigt werden.

BVerwG, Beschluss vom 23.4.1998 - 4 B 40.98 -; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17.6.1992 - 3 S 829/92 -; HessVGH, Urteil vom 11.5.1989 - 3 UE 368/86 -.

Zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung für den Werbepylon am 24.2.2004 lag sein Aufstellungsort nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Zwar ist für das Gebiet, in welchem der Werbepylon steht, zuvor der Bebauungsplan erlassen worden, welcher ein Sondergebiet SO 2 mit der Zweckbestimmung "Bau- und Heimwerkermarkt mit Gartencenter" festsetzt und der in der textlichen Festsetzung zwei Werbetürme in diesem Gebiet zulässt. Dieser Bebauungsplan Nr. 090 "N. Straße" in der Fassung der 1. Änderung ist allerdings durch Urteil des 7a. Senats des erkennenden Gerichts vom 3.12.2003 - 7a D 118/02 NE - für unwirksam erklärt worden.

Der Aufstellungsort des Werbepylons liegt innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils nach § 34 Abs. 1 BauGB. Dieser umfasst den Bereich, der im Westen und Norden von der N. Straße, im Osten von der B. Straße und im Süden von dem B. weg begrenzt wird. Hier wird ein Sonnenstudio, ein großflächiger Möbelhandel, ein Baustoffhandel und der Bau- und Heimwerkermarkt nebst Gartencenter mit einer Bruttogeschossfläche von 11.042,60 qm, einer Verkaufsfläche von 8.940,00 qm und insgesamt 372 Parkplätzen, betrieben. Nach § 34 Abs. 2 BauGB entspricht die Eigenart der näheren Umgebung somit einem faktischen Sondergebiet. In einem solchen Sondergebiet für großflächigen Einzelhandel sind Werbeanlagen und damit auch der streitige Werbepylon grundsätzlich planungsrechtlich zulässig, weil es sich hierbei um eine gewerbliche Nutzung im Sinne der BauNVO handelt.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 3.12.1992 - 4 C 27.91 - a.a.O.; OVG NRW, Urteil vom 14.3.2006, a.a.O., und Beschluss vom 27.1.2004 - 10 B 2581/03 - (N. -Pylon in einem Mischgebiet mit gewerblicher Prägung).

Demgegenüber liegt das Grundstück der Klägerin in einem durch Bebauungsplan festgesetzten Allgemeinen Wohngebiet. Dieses grenzt allerdings - nur getrennt durch die B. Straße - an das Sondergebiet an.

Liegen somit der Werbepylon und das Grundstück der Klägerin in unterschiedlichen Baugebieten, scheidet ein Abwehranspruch der Klägerin aus dem sogenannten Gebietsgewährleistungsanspruch aus, weil ein solcher nur innerhalb desselben Baugebiets gegeben sein kann.

BVerwG, Beschluss vom 2.2.2002 - 4 B 87.99 -, BRS 63 Nr. 190, und - grundlegend - Urteil vom 16.9.1993 - 4 C 28.91 -, BRS 55 Nr. 110; VGH Bad.-Württ., Urteil vom 29.6.1994 - 5 S 2286/93 -, BRS 56 Nr. 151; BayVGH, Beschluss vom 25.8.1997 - 2 ZB 97.00681 , BRS 59 Nr. 66. Treffen - wie hier - zwei unterschiedliche Baugebiete aufeinander, ist nach § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO zu beurteilen, ob die Einwirkungen aus dem einen Gebiet dem Nachbarn im anderen Gebiet zumutbar sind oder nicht. Nach Satz 1 dieser Vorschrift sind die in den §§ 2 bis 14 aufgeführten baulichen und sonstigen Anlagen im Einzelfall unzulässig, wenn sie nach Anzahl, Lage, Umfang oder Zweckbestimmung der Eigenart des Baugebiets widersprechen. Nach Satz 2 sind sie auch unzulässig, wenn von ihnen Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets im Baugebiet selbst oder in dessen Umgebung unzumutbar sind, oder wenn sie solchen Belästigungen oder Störungen ausgesetzt sind. Diese Vorschrift als Ausprägung des baurechtlichen Rücksichtnahmegebotes hat drittschützende Wirkung sowohl für Nutzungen innerhalb eines Baugebietes als auch - bei grenzüberschreitender Auswirkung eines Vorhabens - für Nutzungen außerhalb des Gebiets. Derselbe Nachbarschutz besteht auch im unbeplanten Innenbereich.

Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand: Juli 2006, § 15 BauNVO Rn. 33 m.w.N.

Dabei ist die Anwendung des § 15 Abs. 1 BauNVO auf die Art der baulichen Nutzung beschränkt. Die Vorschrift ist im Hinblick auf das Maß der baulichen Nutzung grundsätzlich nicht anwendbar. Allerdings können nach dem Wortlaut der Vorschrift bauliche Anlage auch ihrem Umfang nach der Eigenart des Baugebietes widersprechen. Das bedeutet aber nicht, dass § 15 Abs. 1 BauNVO auch die Maßfestsetzungen ergänzt. Vielmehr geht die Vorschrift davon aus, dass im Einzelfall Quantität in Qualität umschlagen kann, dass also die Größe einer baulichen Anlage die Art der baulichen Nutzung erfassen kann.

BVerwG, Urteil vom 16.3.1995 - 4 C 3.94 -, BRS 57 Nr. 175.

Davon ausgehend ist anerkannt, dass in Bereichen, in denen Baugebiete von unterschiedlicher Qualität und unterschiedlicher Schutzwürdigkeit zusammentreffen, die Grundstücksnutzung mit einer gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet ist, was auch dazu führt, dass der Belästigte Nachteile hinnehmen muss, die er außerhalb eines derartigen Grenzbereichs nicht hinzunehmen bräuchte.

BVerwG, Urteil vom 12.12.1975 - IV C 71.73 -, BRS 29 Nr. 135, und Beschluss vom 5.3.1984 - 4 B 171.83 -, BRS 42 Nr. 66.

Dies gilt in besonderem Maße im vorliegenden Fall, weil in dem hier fraglichen Sondergebiet bereits seit etwa 30 Jahren gewerbliche Nutzung stattfindet und damit von einer Vorbelastung des angrenzenden Wohngebiets auszugehen ist.

Die Auswirkungen des Werbepylons auf das Grundstück der Klägerin verletzen nicht das in § 15 Abs. 1 BauNVO enthaltene Gebot der Rücksichtnahme. Infolgedessen scheidet ein Abwehranspruch der Klägerin gegen die angefochtene Baugenehmigung aus. Dies gilt hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten erdrückenden oder optisch bedrängenden Wirkung des ca. 24 Meter hohen Werbepylons (1.) und auch für die von der Anlage ausgehenden Lichtimmission (2.).

1. Eine erdrückende oder optisch bedrängende Wirkung übt der Werbepylon auf das Grundstück der Klägerin nicht aus. "Erdrückend" ist ein Bauwerk dann, wenn ihm wegen seiner Höhe und Breite gegenüber dem Nachbargrundstück eine "erdrückende" bzw. "erschlagende" Wirkung zukommt. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die baulichen Dimensionen des erdrückenden Gebäudes aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalles derart übermächtig sind, dass das "erdrückte" Gebäude oder Grundstück nur noch überwiegend wie eine von dem herrschenden Gebäude dominierte Fläche ohne eigene baurechtliche Charakteristik wahrgenommen wird, oder wenn das Bauvorhaben das Nachbargrundstück regelrecht abriegelt, d.h. dort ein Gefühl des Eingemauertseins oder eine Gefängnishofsituation hervorruft.

Vgl. hierzu BVerwG, Urteile vom 23.5.1986 - 4 C 34.85 -, BRS 46 Nr. 176, und vom 13.3.1981 - 4 C 1.78 -, BRS 38 Nr. 186; OVG NRW, Urteile vom 9.8.2006 - 8 A 3726/05 -, DVBl. 2006, 1532, und vom 29.8.2005 - 10 A 3183/02 -.

Die Annahme einer derartigen erdrückenden Wirkung auf das Grundstück der Klägerin scheidet schon deshalb aus, weil das Haus der Klägerin ausweislich der in den Akten befindlichen Liegenschaftskarte ungefähr 150 Meter vom streitgegenständlichen Werbepylon entfernt ist und sich zwischen dem klägerischen Grundstück und dem Pylon noch weitere Wohnbebauung sowie die das Sondergebiet und das Wohngebiet trennende B. Straße befinden.

Da die Werbung statisch ist, kommt ihr auch keine optisch bedrängende Wirkung zu.

Vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 11.12.2006 -4 B 72.06 -.

2. Weiterhin ist nicht ersichtlich, dass die Baugenehmigung für die Werbeanlage gegen das in § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO enthaltene Gebot der Rücksichtnahme wegen unzumutbarer Lichtimmissionen verstößt. Ist nach den oben dargestellten Grundsätzen der Schutzanspruch der Klägerin aufgrund der Nachbarschaft zu einem Sondergebiet gemindert, hat sie grundsätzlich auch hinzunehmen, dass durch die in diesem Gebiet angesiedelten Gewerbebetriebe (Licht-)Werbung stattfindet, die im angrenzenden Wohngebiet zu sehen ist. Sie hat keinen generellen Anspruch darauf, dass Lichtwerbung nicht auf ihr Wohngrundstück einwirkt. Entgegen der Auffassung der Klägerin handelt es sich bei der Aufstellung und Anbringung von Anlagen der Außenwerbung grundsätzlich um eine zulässige gewerbliche Grundstücksnutzung. Art. 14 GG gewährleistet dem Gewerbetreibenden im Rahmen der Gesetze den "Kontakt nach außen" und damit die Werbemöglichkeit für seinen eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb. Art. 12 Abs. 1 GG schützt grundsätzlich das Recht, auch für Dritte Werbung zu betreiben. Somit ist das berechtigte Interesse der Beigeladenen, Werbung auch mit Hilfe eines Pylons zu betreiben, in die Beurteilung im Rahmen des Gebots der Rücksichtnahme einzustellen.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 22.2.1980 - 4 C 44.76 -, BRS 36 Nr. 149, und vom 18.10.1974 - 4 C 4.72 -, Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 155; OVG NRW, Urteil vom 14.3.2006 - 10 A 630/04 -, BauR 2006, 1117; Boeddinghaus/Hahn/ Schulte, a.a.O., § 13 Rn. 3.

Die Baugenehmigung ist in ihrer konkreten Ausgestaltung mit den §§ 22 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 2 BImSchG zu vereinbaren. Nach § 22 Abs. 1 BImSchG sind - nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz - nicht genehmigungsbedürftige Anlagen u.a. so zu errichten und zu betreiben, dass schädliche, nach dem Stand der Technik vermeidbare Umwelteinwirkungen verhindert oder nach dem Stand der Technik unvermeidbare schädliche Umwelteinwirkungen auf ein Mindestmaß beschränkt werden. Nach § 3 Abs. 1 BImSchG sind schädliche Umwelteinwirkungen Immissionen, die nach Art, Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Zu den Immissionen zählt nach § 3 Abs. 2 BImSchG u.a. auch auf Menschen einwirkendes Licht.

Die Beurteilung, wann Lichteinwirkungen zu erheblichen Belästigungen für die Nachbarschaft führen, kann nicht anhand allgemein gültiger Grenzwerte und Bewertungsmethoden vorgenommen werden, da solche weder durch Gesetz noch durch Rechtsverordnung bindend geregelt sind. Ob Lichtimmissionen zumutbar sind, ist daher unter Beachtung der Grundsätze, die die Rechtsprechung zum Gebot der Rücksichtnahme entwickelt hat, im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen. Zu berücksichtigen ist dabei auch die durch die Gebietsart und die tatsächlichen Verhältnisse bestimmte Schutzwürdigkeit und Schutzbedürftigkeit der betroffenen Nachbarschaft, wobei wertende Elemente wie Herkömmlichkeit, soziale Adäquanz und allgemeine Akzeptanz einzubeziehen sind. Alle Faktoren sind in eine wertende Gesamtbeurteilung im Sinne einer Güterabwägung einzustellen.

OVG NRW, Urteil vom 11.7.1997 - 21 A 2145/96 -.

Auch der Gemeinsame Runderlass "Lichtimmissionen, Messung, Beurteilung und Verminderung" des Ministeriums für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, des Ministeriums für Wirtschaft und Mittelstand, Energie und Verkehr und des Ministeriums für Städtebau und Wohnen, Kultur und Sport vom 13.09.2000, MinBl. NRW vom 2.11.2000, S. 1283, berichtigt in MinBl. NRW vom 27.3.2001, S. 457, weitestgehend übereinstimmend mit der Licht-Leitlinie des Länderausschusses für Immissionsschutz vom 12.5.2000,abgedruckt in Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Stand: November 2006, Bd. 4, C 4.5, hat keinen quasi-normativen Charakter. Obwohl demzufolge eine starr an Candela- und Lux-Werten ausgerichtete Beurteilung der Zumutbarkeit von Lichtimmissionen anhand des gemeinsamen Runderlasses ausscheidet, ist der Senat nicht gehindert, diesen als sachverständige Beurteilungshilfe in seine Erwägungen einzubeziehen.

Vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 21.12.2006 - 7 B 2193/06 - ("Orientierungshilfe").

Der Gemeinsame Runderlass geht von dem nachvollziehbaren und den Senat überzeugenden Ansatz aus, dass "Raumaufhellung" und "psychologische Blendung" zu den maßgeblichen Kriterien bei der Beurteilung von Lichtimmissionen gehören. Eine Raumaufhellung ist dann anzunehmen, wenn die Immission des Lichts zu einer signifikant erhöhten Helligkeit des Raumes mit der Folge führt, dass die Nutzung eines Wohnbereichs (etwa Schlafzimmer oder Wohnzimmer) eingeschränkt ist. Eine (psychologische) Blendung wird hingegen angenommen, wenn durch eine Lichtquelle in der Nachbarschaft zwar aufgrund der Entfernung oder Eigenart der Lichtquelle keine oder keine übermäßige Aufhellung erzeugt wird, eine Belästigung aber aus psychologischen Gründen vorliegt. Eine solche Belästigung entsteht durch die ungewollte Ablenkung der Blickrichtung zur Lichtquelle hin, die eine ständige Umadaptation des Auges auslösen kann. Davon ausgehend kann das Begehren der Klägerin keinen Erfolg haben, weil keine schädliche Umwelteinwirkung vorliegt, und zwar weder in der Form einer Raumaufhellung (a) noch in der Form einer psychologischen Blendung (b).

a) Eine Aufhellung der dem Werbepylon zugewandten Räume und Außenbereiche des klägerischen Grundstücks konnte nicht festgestellt werden. Nach dem Eindruck in der Örtlichkeit, den der Berichterstatter des Senats vor Ort gewonnen und dem Senat - auch anhand des vorliegenden Lichtbildmaterials - vermittelt hat, ist schon aufgrund der großen Entfernung des Werbemastes vom Haus der Klägerin (etwa 150 Meter) eine Lichteinwirkung in Form einer Aufhellung ersichtlich nicht gegeben. Dies liegt auch deshalb fern, weil der Werbemast nicht selbst Licht ausstrahlt, sondern (nur) die Werbeflächen beleuchtet sind, und zwar durch eine Hinterbeleuchtung bzw. durch eine indirekte Anstrahlung. Der Werbepylon sendet - anders als dies bei Scheinwerfern oder bei Straßenlaternen der Fall sein kann - keine direkten Lichtstrahlen auf das klägerische Grundstück.

Dieses Ergebnis wird bestätigt durch das vom Beklagten in Auftrag gegebene Gutachten des Sachverständigen Dr. C. vom 23.10.2006, welches sich am oben erwähnten gemeinsamen Runderlass orientiert und in welchem im Hinblick auf eine Raumaufhellung die Beleuchtungsstärke ermittelt wurde. Zugunsten der Klägerin wurde dabei von dem strengsten Immissionsrichtwert von 1,0 lux für die Vertikalbeleuchtungsstärke ausgegangen, der für reine und allgemeine Wohngebiete nachts (zwischen 22.00 Uhr und 6.00 Uhr) sowie für Kurgebiete, Krankenhäuser und Pflegeanstalten ganztägig Geltung beansprucht, obwohl im vorliegenden Verfahren - wie dargelegt - wegen des Nebeneinanders von Wohnnutzung einerseits und gewerblicher Nutzung andererseits ein niedrigerer Schutzanspruch in Ansatz zu bringen ist. Ebenfalls zugunsten der Klägerin wurde wegen der orangen Farbe des P.-Schriftzugs (Signalfarbe) das Messergebnis mit dem Faktor 2 (Farbzuschlag) multipliziert. Dennoch wird der Richtwert für eine Raumaufhellung am Immissionsort 1 (klägerisches Grundstück) sowohl für den Tag (6.00 Uhr bis 22.00 Uhr) als auch für die Nacht (22.00 Uhr bis 6.00 Uhr) deutlich eingehalten: Es ergibt sich für die Vertikalbeleuchtungsstärke ein Wert von weniger als 0,08 lux, der so gering ist, dass er sich messtechnisch kaum noch feststellen lässt.

b) Zu Lasten der Klägerin sind auch keine schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne des § 22 Abs. 1 BImSchG in Form einer psychologischen Blendung zu befürchten. Nach dem Ergebnis der richterlichen Augenscheinseinnahme ist die etwa 150 Meter entfernte streitbefangene Werbeanlage aus dem Ankleidezimmer der Klägerin, welches dem Schlafzimmer vorgelagert ist, nur mit dem oberen Teil (insbesondere dem P.-Schriftzug) zu sehen. Der untere Teil des Pylons wird verdeckt durch die zwischen dem klägerischen Grundstück und der Werbeanlage befindliche Wohnbebauung. Ein vergleichbares Bild bietet sich von der Terrasse des Hauses. Nur im hinteren Bereich des Gartens (nördliche Hälfte) ist der Werbepylon vollständig zu sehen. Zwar leuchtet die oberste Werbefläche der Anlage mit einer eher auffälligen Farbe (orange). Wegen der Bebauungssituation zwischen dem Pylon und dem klägerischen Grundstück und vor allem wegen der großen Entfernung ist die Lichteinwirkung durch den Pylon aber auch bei Dunkelheit nicht so dominant, dass das Auge ungewollt immer wieder in Richtung der Werbeanlage abgelenkt würde. Vielmehr muss das Auge die Lichtquelle schon suchen, um ihrer gewahr zu werden. Hinzu kommt, dass der Werbepylon nicht die einzige Lichtquelle ist, der das klägerische Grundstück ausgesetzt ist. Die Umgebung des Werbepylons ist geprägt durch die Nutzung als Bau- und Heimwerkermarkt mit Gartencenter. Zudem ist die Umgebung durch die B. Straße und die Einfahrt in das Sondergebiet über den Kreisverkehr B. Straße/ N. straße verkehrlich gut erschlossen. Daraus ergibt sich sowohl durch die Beleuchtung des Baumarktes und des Gartencenters als auch durch die Straßenbeleuchtung eine ohnehin vorhandene Belastung mit Lichtimmissionen - wenn auch nicht bis zur Höhe des Werbepylons -, der das klägerische Grundstück ausgesetzt ist. Durch diese Umgebungsleuchtdichte findet eine geringere Ablenkung des Auges statt als in einem Fall, dass sich ein leuchtendes Objekt in einer ansonsten völlig dunklen Umgebung befindet.

Dieser Eindruck wird bestätigt durch das Gutachten des Sachverständigen Dr. C. vom 23.10.2006, in welchem die Leuchtdichte als Maß für die Blendung ermittelt worden ist. Zugrunde gelegt wurde zugunsten der Klägerin der höchste gemessene Wert der Leuchtdichte von 104,3 cd/qm für das Maximum der Buchstaben. Zugunsten der Klägerin wurde weiterhin die Umgebung vernachlässigt und nur der Mindestwert für die Umgebungsleuchtdichte (0,1 cd/qm) in Ansatz gebracht. Danach ergibt sich eine Beurteilungsgröße L von (mindestens) 4,16 cd/qm. Wird dieser Wert mit dem in Tabelle 2 des Gemeinsamen Runderlasses aufgeführten Proportionalitätsfaktor k zur Festlegung der maximal zulässigen mittleren Leuchtdichte technischer Lichtquellen während der Dunkelstunden für reine und allgemeine Wohngebiete multipliziert, ergeben sich Immissionsrichtwerte zwischen (mindestens) 133 cd/qm für die Zeit nach 22.00 Uhr und (mindestens) 400 cd/qm für die Zeit vor 20.00 Uhr. Da selbst unter ungünstigsten Bedingungen die Werbeanlage eine Leuchtdichte von nicht mehr als 104,3 cd/qm aufweist bzw. diesen Wert unterschreitet, werden alle im Runderlass zugrunde gelegten Immissionsrichtwerte zur psychologischen Blendung - insbesondere auch nachts - eingehalten.

Schließlich verlangt das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme entgegen der Annahme des VG auch die Prüfung, welche Maßnahmen der Klägerin zumutbar sind, um Lichtimmissionen zu mindern. Dabei muss bei der Feststellung, ob eine Belästigungswirkung den Grad der Erheblichkeit erreicht, auf das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen abgestellt werden, so dass eine gesteigerte Empfindlichkeit des Betroffenen - möglicherweise auch beeinflusst durch den Ärger über das Verfahren oder das Verhalten Beteiligten - nicht zu berücksichtigen ist. Insbesondere bei Lichtimmissionen sind daher von der Klägerin auch Maßnahmen zur Lichtdämpfung zu verlangen.

Vgl. zu diesem Ansatz OVG NRW, Beschluss vom 12.5.2003 - 10 B 145/03 - und Urteil vom 2.9. 1993 - 10 A 684/89 -; Nds. OVG, Urteil vom 26.2.2003 - 1 LC 75/02 -, BRS 66 Nr. 146; a.A. LG Wiesbaden, Urteil vom 19.12.2001 - 10 S 46/01 -, NJW 2002, 615 ff, bzgl. eines Abwehranspruchs aus §§ 1004, 906 BGB gegen die Lichteinwirkung einer 40-Watt-Glühbirne matt ("Wiesbadener Glühbirnenstreit").

Die Klägerin kann ihren Wohnbereich, in welchen sie sich durch Lichtimmissionen belästigt fühlt, wirksam durch Vorhänge, Gardinen, Jalousetten etc. abschirmen. Dies ist der Klägerin zumutbar und im Rahmen des Rücksichtnahmegebotes von ihr auch zu erwarten, weil solche Einrichtungen zur üblichen Ausstattung einer Wohnung gehören. Es kommt hinzu, dass der von einer Lichteinwirkung betroffene Wohnbereich in erster Linie das Ankleidezimmer im 1. Obergeschoss, in welchem ein ständiger Aufenthalt ohnehin nicht stattfindet, und weniger das dahinter liegende Schlafzimmer der Klägerin betrifft. Im Hinblick auf die Terrasse und den Garten der Klägerin, wo Schutzmaßnahmen nur mit größerem Aufwand verwirklicht werden können, gehört es nicht zu den schutzwürdigen Belangen, dass ein nächtlicher Blick von der Terrasse oder aus dem Garten in eine durch weitgehende Dunkelheit geprägte Umgebung gewährleistet wird; dies ist wegen der Umgebungsbeleuchtung unabhängig von der Beleuchtung des streitgegenständlichen Werbepylons ohnehin nicht möglich.

Soweit die Klägerin behauptet, durch die Errichtung der Werbeanlage sei der Wert ihres Grundstücks signifikant gesunken, vermag dies ebenfalls keinen Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot zu begründen. In der Rechtsprechung des BVerwG ist geklärt, dass Wertminderungen als Folge der Ausnutzung der einem Dritten erteilten Baugenehmigung für sich genommen keinen Maßstab dafür bilden, ob Beeinträchtigungen im Sinne des Rücksichtnahmegebotes zumutbar sind oder nicht. Es gibt keinen allgemeinen Rechtssatz des Inhalts, dass der Einzelne einen Anspruch darauf hat, vor jeglicher Wertminderung bewahrt zu werden. Unter dem Gesichtspunkt der Wertminderung kommt daher ein Abwehranspruch nur dann in Betracht, wenn die Wertminderung die Folge einer dem Betroffenen unzumutbaren Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks ist.

BVerwG, Beschlüsse vom 13.11.1997 - 4 B 195.97 -, BRS 59 Nr. 177, und vom 24.4.1992 - 4 B 60.92 -.

Gerade hieran fehlt es aber. Nach den obigen Ausführungen muss die Klägerin aus Rechtsgründen die mit der Errichtung der Werbeanlage verbundenen Beeinträchtigungen hinnehmen, weil diese nicht unzumutbar sind. Damit verbietet sich die Annahme einer Rücksichtslosigkeit allein wegen der Behauptung eines Wertverlustes.

Ende der Entscheidung

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